Auch als Reaktion auf
Erdgasknappheit: Neue Studie - Kapazitäten zur Erzeugung von „grünem“
Wasserstoff sollten schneller ausgebaut werden als bislang geplant
Duisburg, 26. November 2022 - Die Nachfrage nach klimafreundlichem Wasserstoff
in Deutschland dürfte schon bis 2030 schneller wachsen als vielfach angenommen –
auch, weil Erdgas infolge des Ukraine-Krieges als „Brücken“-Rohstoff teilweise
ausfällt. Daher sollten bereits in den kommenden Jahren deutlich größere
Elektrolysekapazitäten zur „grünen“ Wasserstoffproduktion im Inland geschaffen
werden als bislang beabsichtigt. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue, von der
Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie.*
Die Bundesregierung hat zwar im Koalitionsvertrag das Kapazitätsziel für die
Wasserstoffelektrolyse auf 10 Gigawatt (GW) bis 2030 angehoben. Damit ließen
sich pro Jahr rund eine Million Tonnen „grüner“ Wasserstoff erzeugen. Doch
notwendig wären deutlich größere Kapazitäten, da allein für die Umstellung der
Stahlproduktion im aktuellen Umfang auf „grünen Stahl“ rund zwei Millionen
Tonnen Wasserstoff pro Jahr erforderlich sind, so die Studienautoren Prof. Dr.
André Küster-Simić und Janek Schönfeldt.
Hintergrund: Importe aus sonnen- und windreichen Drittländern werden zwar
künftig eine große Rolle bei der deutschen Wasserstoffversorgung spielen, vor
allem kurz- und mittelfristig werden sie aber nicht in ausreichendem Maße zur
Verfügung stehen, zumal Wasserstoff in etlichen Industriebranchen wichtiger
wird.
Explodierende Preise und Knappheit bei Erdgas beschleunigen die Entwicklung.
Außerdem ist die Verfügbarkeit von per Schiff über weite Strecken
transportiertem Wasserstoff unsicher und in Deutschland erzeugter Wasserstoff
vermutlich wettbewerbsfähig, erwarten Küster-Simić, Professor für
Betriebswirtschaftslehre an der Hamburg School of Business Administration sowie
Unternehmensberater, und sein Mitarbeiter Schönfeldt.
Dementsprechend muss auch der Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung im Inland
deutlich beschleunigt werden, betonen die Forscher. Dann böte sich für deutsche
Elektrolyseanlagenbauer sowie weitere Anlagenbauer auch die Möglichkeit, sich
über Referenzprojekte im Inland im internationalen Wettbewerb Vorteile zu
verschaffen.
Mit folgenden Mitteln könnte dies wirtschaftspolitisch gestützt werden:
- Unternehmen, die mit aufwendigen Investitionen auf umweltfreundliche
wasserstoffbasierte Techniken umstellen, bräuchten Investitionshilfen, wofür es
beispielsweise auf EU-Ebene erste geeignete Ansätze gebe.
- Entscheidend sei zudem die Etablierung von „grünen Leitmärkten“, etwa durch
eine verlässliche Zertifizierung klimafreundlicher Produkte und einem Vorrang
für solche Produkte bei der öffentlichen Beschaffung.
- Flankiert werden müsse der Umbau Richtung wasserstoffgestützte Produktion
durch einen wirksamen Schutz gegen Importe, die weiterhin klimaschädlich und
daher für eine Übergangszeit billiger produziert werden.
Die EU plant dazu einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), dessen konkrete
Ausgestaltung aber noch diskutiert wird. Die Studie beleuchtet auch mögliche
Transformationspfade in der Stahlindustrie als eine Vorreiterin der „grünen“
Transformation. Eine erfolgreiche Transformation ist möglich, so die Forscher,
es besteht aber auch die Gefahr des Verlustes von Wertschöpfung in Deutschland.
Entscheidend hierfür ist unter anderem die ausreichende Versorgung mit Strom und
Wasserstoff zu international wettbewerbsfähigen Preisen.
Schließlich zeigt die
Studie, dass die schrittweise erfolgreiche Umstellung auf eine Produktion mit
Wasserstoff in der Stahlindustrie in den kommenden zehn Jahren große
Qualifizierungsanstrengungen erfordert und temporär zu einer etwas höheren
Beschäftigung in der Branche führt. Denn für eine Übergangszeit bestehen neue
und alte Techniken parallel, beispielsweise müssen Kokereien so lange
weiterbetrieben werden, bis die komplette Produktion auf die wasserstoffbasierte
Direktreduktion umgestellt ist.
Danach sinkt der Personalbedarf, was sich aber nach Erwartung der Autoren im
Gleichlauf mit der demografischen Entwicklung sozialverträglich dadurch regeln
lasse, dass Beschäftigte in den Ruhestand gehen. Es ist bei einer erfolgreichen
Transformation vielmehr erforderlich, aufgrund des temporären Personalaufbaus
und der demographischen Entwicklung neue Mitarbeitende in größeren Umfängen zu
gewinnen. Insgesamt komme „auch der betrieblichen Mitbestimmung eine große Rolle
zu, den Transformationsprozess auf Betriebsebene aktiv zum Wohle der
Mitarbeitenden zu gestalten“, schreiben Küster-Simić und Schönfeldt. Zudem sei
es wichtig, dass die Montanmitbestimmung auch in wasserstoffbasierten Konzernen
erhalten bleibe.
Die Forscher stützen ihre Untersuchung auf eine umfangreiche Literaturanalyse
sowie Interviews mit 25 Fachleuten, überwiegend hochrangigen Praktikerinnen und
Praktikern aus Stahlindustrie und Energieanlagenbau sowie einigen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Dabei haben sie sowohl Vertreterinnen
und Vertreter des Managements als auch der Beschäftigtenseite befragt.
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